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Toxische Beziehungen 2

Menschen, die in ungesunden Verhältnissen aufwachsen, sogenannten dysfunktionalen Familien, machen oft im weiteren Leben die Erfahrung, dass Kontakte und Beziehungen zu anderen Menschen schwierig, anstrengend, chaotisch, verletzend, unzuverlässig, verwirrend und/oder beängstigend sind. Leider ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie sich im späteren Leben zu ganz ähnlich eingestellten Menschen hingezogen fühlen und so die Lernerfahrungen und Beziehungserfahrungen der Kindheit immer wieder wiederholen.

Man nennt so etwas Trauma-Bindungen, im Vergleich zu gesünderen, erwachseneren Freundschaften und Liebesbeziehungen.

Solche Trauma-Bindungen können sich über viele Jahre oder ganze Leben hinziehen. Wachsen wieder Kinder in diesen Umständen heran, wird das Trauma-Bonding in die nächste Generation weitergegeben. Aber es gibt Möglichkeiten, aus diesen Teufelskreisläufen auszubrechen, die Dynamiken und Wunden zu heilen, die darunter verborgen liegen.

 

Hier ein paar Überblicke zum besseren Verständnis:

Die Phasen einer Trauma-Bindung:

  1. Viel Liebe: Partner A überflutet Partner B mit Liebe, Aufmerksamkeit, Komplimenten, Anerkennung, Lob, um seine Zuneigung zu gewinnen.

  2. Vertrauen und Abhängigkeit: Partner A tut alles, um Partner B für sich zu gewinnen, er braucht es, dass B ihn wegen seiner Liebe und Bestätigung braucht.

  3. Kritik: Partner A beginnt langsam, Partner B immer mehr zu kritisieren, B ist schuld an allem und A wird immer anspruchsvoller.

  4. Vernebeln: Wenn etwas schief geht, ist B schuld, Partner A verwirrt B zunehmend, will, dass B seiner eigenen Wahrnehmung nicht mehr traut und manipuliert B so, dass die Erzählungen und Erklärungen von A als Wahrheit anerkannt werden (Neudeutsch: Gaslighting)

  5. Sich der Kontrolle unterordnen: B weiß nicht mehr, was er glauben soll und der einzige Weg, wieder die guten Gefühle aus Phase 1 zu erleben ist, nachzugeben und alles so zu machen, wie A es möchte.

  6. Verlust des Selbst: Wenn B sich wehrt, wird alles schlimmer. Er unterwirft sich allem, gibt auf, damit bloß die Kämpfe aufhören. Er verliert jegliches Selbstvertrauen.

  7. Abhängigkeit: B wird süchtig nach den Hochs und Tiefs dieser Beziehung. Sein Körper erlebt ein konstantes Cortisol-Hoch (Stress) und hat ein Verlangen nach Dopamin (gute Gefühle, Lust, Freude). So wird ein Abhängigkeitszyklus kreiert, der sich sehr so anfühlt wie Drogenabhängigkeit.

 

Wichtig an diesem Punkt zu verstehen ist, dass unser Nervensystem seine ganz eigenen Mechanismen und Reaktionsweisen hat. Die absolut oberste Priorität für unser Nervensystem ist, dass wir sicher sind. Dem wird alles untergeordnet. Aus diesem Grund ordnen wir uns und unser Leben in solch ungesunden Beziehungen dem unter, was der stärkere/traumatisiertere/aggressivere/manipulativere Partner von uns möchte. Das oberste Ziel unseres Körpers ist, dass wir so schnell wie möglich wieder sicher sind und wenn das heißt, unsere Werte zu verraten, unsere Überzeugungen, immer wieder über unsere Grenzen zu gehen, dann tun wir das, wenn wir schon so tief in der Abhängigkeit von dieser Trauma-Beziehung sind. Alles, um wieder mehr Ruhe und Sicherheit zu spüren.

Freunde, Verwandte, Kollegen sagen vielleicht Dinge wie „warum verlässt du ihn/sie denn nicht?“ oder „du kannst doch einfach gehen, warum tust du dir das an?“ oder „such dir eine eigene Wohnung, das ist doch verrückt!“ aber wenn wir erst so tief in einer so ungesunden (toxischen) Beziehung versunken sind, haben wir diese Handlungsfreiheit nicht mehr. Wir sind meist tief erschöpft, können kaum noch klar denken, unser Fokus ist verschwommen, wir kriegen kaum noch die täglichen Anforderungen erledigt. Es ist keine Kraft mehr da, um unser Leben auf den Kopf zu stellen. Auch ist meistens die Hoffnung, dass es sich doch noch ändert, dass in Wirklichkeit ja alles ein großes Missverständnis ist, dass das hier endlich die so lange ersehnte große Liebe ist, für die nur noch ein Streit, ein Kampf überwunden werden muss, bis sie wirklich sichtbar wird, zu groß.

Unser Fokus reduziert sich in diesem Stadium darauf, dass der aktuelle Streit so schnell wie möglich zu Ende geht, alles getan wird, um den nächsten zu verhindern und alles dreht sich nur um Ruhe und Sicherheit.

Unser Gehirn weiß nicht, dass wir, um wirklich Ruhe und Sicherheit fühlen zu können, alles toxische hinter uns lassen müssen. In den meisten Fällen bedeutet das tatsächlich, die Beziehung zu verlassen oder zumindest viel physischen Raum zwischen sich und den Partner zu bringen...

 

Hier eine (unvollständige) Gegenüberstellung von Attributen einer Trauma-Bindung und einer gesünderen, nicht traumabedingten Beziehung:

Trauma-Bindung

Authentische Beziehung

Rette mich, repariere mich, bestätige meine Existenz

Erlebe mich, sieh mich, gib mir Raum für alles, was ich bin

Ich brauche dich, ich bin abhängig von dir

Ich sehe dich, ich höre dich, du machst mein schon gutes Leben schöner

Die Verbindung besteht aus Hochs und Tiefs (Aktivierung des Nervensystems)

Gegenseitiges Vertrauen, Vorhersehbarkeit, Worte und Handlungen decken sich

Chaotisch, unvorhersehbar, Achterbahn der Gefühle

Ruhig, sicher, gleichmäßig, zuverlässiges füreinander da sein

Ich betrüge und belüge mich und meine Bedürfnisse, um Liebe zu kriegen

Ich befriedige meine Bedürfnisse selbst und eigenverantwortlich

Meine Beziehungen spiegeln meine Kindheitserfahrungen wider

Meine Beziehungen basieren auf Freiheit, Verantwortlichkeit und Frieden

Angst vor Gefühlen, oft sehr sexualisiert

Emotional verletzlich, offene Kommunikation

Verletzendes, betrügendes, missbräuchliches Verhalten

Klare Grenzen, kein Selbstbetrug, Wertschätzung für Eigenverantwortung

Die Partner wollen miteinander verschmelzen oder sich gegenseitig kontrollieren

Die Partner arbeiten an sich selbst um sich und dem anderen Raum zu geben, füreinander da zu sein, zu wachsen und sich zu entwickeln

Kein Vertrauen ineinander, Vorwürfe, schlechte Erfahrungen werden unreflektiert auf Partner projiziert

Vertrauen ineinander, Missverständnisse werden schnell geklärt, ehrliche Gespräche ermöglichen Verständnis füreinander

Angst und Unsicherheit wird aufrechterhalten, intimes Wissen wird gegeneinander benutzt

Neugierde, Akzeptanz, Unsicherheiten werden zuverlässig geklärt mit dem Ziel, dass beide sich miteinander wohlfühlen

Emotionale Abhängigkeit, Angst vor Trennung

Vorhersehbarkeit, Sicherheit, Frieden, was sich auch langweilig anfühlen kann, aber sehr gesund ist

Dauernde Angst, alleine gelassen zu werden

Partner arbeiten konstant daran, sich gegenseitig Sicherheit zu geben

 

 

Hinweise dafür, sich in einer Trauma-Bindung zu befinden:

 

  • Sie möchten den anderen beschützen, haben Mitleid mit der Person aufgrund ihrer schwierigen Vergangenheit oder Kindheit und kümmern sich weiter um sie, trotz ihres missbräuchlichen Verhaltens Ihnen gegenüber

  • Sie wissen, dass Sie manipuliert und benutzt werden, geben das aber meistens nicht zu, ignorieren die schwierigen Situationen oder vergessen sie ganz schnell wieder

  • Die Beziehung ist sehr intensiv und unsicher, Sie tun alles für den anderen, sind grenzenlos loyal und erhalten nichts als Schmerz als Gegenleistung

  • Ihr Partner sagt die richtigen Dinge, die Sie hören wollen, damit die Probleme gelöst werden könnten: „Ich habe es jetzt begriffen!“, „Ich werde dir jeden Tag beweisen, dass ich dich liebe!“, „Ich mache jetzt täglich xy!“, „Es tut mir so leid, ich mache das nie wieder!“, „Ich will nicht ohne dich leben!“,...

  • Sie befinden sich an einem Punkt, wo Sie sich Selbstverletzung und schlimmeres vorstellen können, weil Sie es nicht mehr aushalten können

  • Sie hoffen und warten die ganze Zeit auf Zeichen/Aussagen des Partners, dass es jetzt besser werden wird und klammern sich daran

  • Sie wissen, dass Sie der Person nicht trauen können und obwohl Sie nicht mehr können, warten Sie auf die winzigen Momente, wo es ab und an mal gut ist

  • Sie verteidigen den Partner vor anderen

  • Sie haben immer noch, trotz allem, liebevolle und positive Gefühle der Person gegenüber an die Sie sich klammern

  • Sie fühlen sich verloren und haben Angst vor einem Leben ohne die Person

  • Sie glauben immer noch, dass die Person „großartig“ und „wundervoll“ ist

 

Es ist möglich, aus solchen ungesunden Beziehungsmustern auszusteigen! Es ist möglich, mit den alten Wunden und Überzeugungen, die solche Beziehungsmuster hervorrufen und aufrechterhalten, zu arbeiten und sie zu verändern. Meist braucht es dafür zuverlässige Hilfe von außen. Aus solchen Mustern auszusteigen heißt oft auch, die ungesunde Beziehung zu beenden, wenn der Partner/die Partnerin nicht auch bereit ist, an seinen/ihren alten Wunden zu arbeiten, damit sich wirklich etwas verändern kann. Nichtsdestotrotz ist es auch möglich, mit dem Partner zusammen zu bleiben. Aber wirklich nur dann, wenn beide intensiv das Ziel verfolgen, konsequent alles toxische/manipulative/gewalttätige aus ihrem einzelnen und ihrem gemeinsamen Leben zu verbannen. Und das kann Jahre dauern...

 

Trauma-Bindungen heilen bedeutet...

  • Lernen Sie Grenzen zu setzen, für sich und andere

  • Lernen Sie, sich selbst zu beruhigen

  • Finden Sie heraus, wie Sie sich selbst hegen und pflegen können, laden Sie sich zu schönen Nachmittagen mit sich selber ein, erkunden Sie Ihre Umgebung neu, entdecken Sie neue Hobbys, verwöhnen Sie sich

  • Suchen Sie sich professionelle Hilfe in einem Umfeld, in dem Sie sich sicher und gut fühlen

  • Lernen Sie sich selbst noch einmal neu kennen, Ihre Gefühle, Gedanken, Überzeugungen, Ihre Bedürfnisse, Ziele, Wünsche und damit auch das, was Sie in einer Beziehung brauchen, um sich wohl und sicher fühlen zu können und das, was Sie anderen geben wollen und können

  • Finden Sie heraus, was für Sie in Beziehungen wichtig ist, worauf Sie nicht verzichten wollen, was Sie überhaupt nicht möchten und wo Ihre Grenzen sind

  • Lernen Sie Achtsamkeit im Umgang mit sich und der Welt

  • Finden Sie heraus, womit Sie sich wohl bzw. unwohl fühlen, woran Sie das erkennen und wie Sie mehr bzw. weniger davon in Ihr Leben bringen können

  • Beschäftigen Sie sich damit, wieviel Chaos Sie in Freundschaften und Beziehungen tolerieren und mitmachen wollen, lernen Sie Frieden und Beständigkeit wertzuschätzen

  • Machen Sie sich erlernte und „vererbte“ Überzeugungen und Erwartungen in Bezug auf Beziehungen bewusst und hinterfragen Sie sie

  • Machen Sie sich Überzeugungen, Erwartungen und Glaubenssätze in Bezug auf sich selbst und andere bewusst und lernen Sie, sie zu lösen oder zu verändern

  • Lernen Sie, sich zu akzeptieren und zu lieben, unabhängig davon, was andere von Ihnen halten oder zu Ihnen sagen

  • Finden Sie heraus, wie herausfordernd aber auch wie heilsam es sein kann, mit sich alleine sein zu können

  • Beschäftigen Sie sich damit, wie wertvoll und wieviel gesünder es sein kann, sich statt über Trauma und Chaos über gleiche Interessen/Werte/Hobbys etc. zu verbinden

  • Lernen Sie, sich in Beziehungen und Kontakten langsam und behutsam vorwärts zu bewegen, Beziehungen sind immer freiwillig und niemals Zwang

  • Suchen Sie den Kontakt mit Menschen, die gesündere Beziehungen und Kontakte pflegen, lerne von ihnen, stell ihnen Fragen und höre aufmerksam zu

 

Es liegt ein großer Schatz verborgen am Wegesrand dieser Reise und ganz sicher am anderen Ende! Der Weg ist oft lang und steinig aber er lohnt sich definitiv, vor allem wenn die Alternative bedeutet, immer wieder Kampf, Kritik, Chaos, Schmerz und Anstrengung aushalten zu müssen. Es ist möglich, aus der dunkelsten Dunkelheit herauszufinden und ganz langsam, Schritt für Schritt in eine lichtvollere, sanftere, achtsamere Zukunft zu gehen.