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Entspannung

Wer entspannt sich nicht gerne?

Wünscht man sich im Kollegenkreis ein schönes Wochenende oder der Freundin einen schönen Urlaub, meint man meist auch damit: entspann dich gut! Oder erhol dich gut, was wohl auf das Gleich rauskommt.

So etwas ist leicht und schnell gesagt, für manche Menschen aber leider alles andere als leicht.

Was bedeutet es, sich entspannen zu können und warum ist es für manche Menschen so schwer bis fast unmöglich?

 

Schauen wir in die Tierwelt... wer mit einem oder mehreren Haus- oder Hoftieren zusammenlebt, kennt das Bild: der Hund, die Katze, der Hamster, die Kuh, alle reagieren gleich. Sie haben gespielt, gejagt, getobt, gefressen und begeben sich danach zur Ruhe, suchen sich ein bequemes, stilles, ungestörtes Plätzchen oder eins, das sie aus anderen Gründen bevorzugen. Der Hund rollt sich auf dem Sofa zusammen, die Katze auf dem Schrank, der Hamster in seinem Heubett, die Kuh lässt sich ins warme Stroh sinken (was ihr hoffentlich zur Verfügung steht). Die Augen schließen sich langsam... ein oder mehrere tiefe Atemzüge oder Seufzer folgen... der Kopf sinkt tiefer, der Körper entspannt sich, die Atemzüge werden flacher, das Tier schläft ein. Wir Menschen sind oft tief gerührt ob dieser Hingabe und des Vertrauens, was das Tier zu uns hat, wenn es in unserer Gegenwart so friedlich in tiefen Schlaf sinkt. Wobei der Schlaf von Tieren so tief oft gar nicht ist, Hunde und Katzen sind beim kleinsten ungewohnten Geräusch blitzschnell wieder hellwach und reaktionsbereit. Erholen und entspannen tun sie sich aber trotzdem.

In modernen Ställen ist es für eine Kuh leider keine Selbstverständlichkeit, dass sie sich mit einem tiefen, wohligen Seufzer auf die Seite ins Stroh (geschweige denn ins Gras) fallen lassen kann. Oft ist der Platz nicht vorhanden, die Bodenverhältnisse nicht entsprechend oder es ist schlicht nicht möglich, da zu viele Artgenossen zu viel Raum beanspruchen und so Unruhe verbreiten.

Da geht es Tieren in großen Ställen oft nicht anders als uns Menschen, die wir aber meist doch ein ausreichend großes Schlafzimmer samt Bett unser eigen nenne können.

Und doch gibt es leider eine Menge Menschen, die, obwohl die räumlichen Gegebenheiten vorhanden sind, das Umfeld ausreichend ruhig und angenehm ist, nicht oder viel zu selten ein Gefühl von tiefer, erholsamer Entspannung erleben können.

Es gibt Menschen, die seit Jahren oder Jahrzehnten kaum je das Gefühl hatten, wirklich „runterkommen“ zu können.

Ein kurzer Blick auf mögliche Ursachen, derer es viele gibt.

Mögliche Ursachen sind im Innen oder Außen zu suchen, in der Gegenwart oder der Vergangenheit.

Stellen wir uns einen Menschen vor, der eine 80-Stunden-Woche arbeitet, Familie, Haus und Garten hat, vielleicht eine Menge Kredite abzubezahlen, ein schlechtes Gewissen, dass er/sie sich so wenig um seine Lieben kümmern kann, seine Freunde kaum mehr sieht, vergessen hat, was einmal seine Hobbys waren und dessen Hausarzt, so er ihn denn zu Gesicht bekommt, immer wieder mit dem roten Stift auf die Blutergebnisse klopft.

Oder einen Menschen, der deutlich mehr arbeitet, nur diesmal nicht in einem Büro, nie wirklich Geld zum Ausgeben hat, weil er/sie alleinerziehend, möglicherweise mit mehreren kleinen Kindern ist, mit einem schlecht bezahlten Job, in einer winzigen Wohnung in einem ungemütlichen Haus an einem unschönen Ort lebt, die Kinder nicht unbeaufsichtigt nach draußen können und keine adäquate Unterstützung vorhanden ist.

Oder einen Menschen, der, bis zur Diagnose seiner/ihrer schwerwiegenden Erkrankung mitten im Leben stand und der nun nicht mehr arbeitsfähig ist, dessen Beziehungspartner ihn/sie verlassen hat, dessen Freunde sich abgewandt haben, weil es herausfordernd sein kann, jahrelang einem schwer kranken Menschen zur Seite zu stehen, der nichts mehr zu erzählen hat und der Tag für Tag für Tag in seiner kleinen Wohnung vor sich hinlebt, ohne Hoffnung und Perspektive.

Oder einen Menschen, der in seiner/ihrer Kindheit schwere Traumata erlebt hat und noch Jahrzehnte später unter den Folgen leidet. Wissentlich oder unwissentlich. Denn vielen Menschen ist gar nicht bewusst, dass ihre Schlafstörungen, ihre Essprobleme, ihre Schmerzen, ihre Konzentrationsstörungen, die Probleme im Kontakt mit anderen Menschen oder eben ihre Unfähigkeit, sich wirklich zu entspannen, mit ihrer Kindheit zu tun haben.

Traumatisch können Dinge sein, die zu viel, zu stark, zu erschreckend, zu überwältigend, zu lange, zu unverständlich etc. sind. Zu viel Streit im Elternhaus, zu viel Lärm, Gewalt, Unfreundlichkeiten, zu viel Mobbing in der Schule.

Traumatisch können aber auch Dinge sein, die zu wenig sind. Zu wenig Liebe, zu wenig Zeit allein, zu wenig Zeit mit den Eltern, zu wenig Körperkontakt, zu wenig Ruhe, zu wenig Gelegenheit, ohne Kritik herausfinden zu können: kann ich das auch alleine?

Diese Dinge überbeanspruchen die Möglichkeiten eines Kindes oder Jugendlichen (bei massiver Belastung auch später den Erwachsenen), sich zu regulieren, sich zu beruhigen, sich herunterzufahren und dadurch, ja, sich zu entspannen und zu erholen.

Sein Nervensystem ist viel zu oft oder dauerhaft in einem Bereich unterwegs, den man den Bereich von Aktivität/Kampf/Flucht nennen kann (siehe Erden oder Polyvagal-Theorie). Hier stellt unser Körper je nach äußerer Beanspruchung Energie bereit, um den Anforderungen gerecht zu werden. Soll das Kind im Erdkundeunterricht die nur schlecht gelernten Flüsse in Nordeuropa auswendig aufsagen, findet in seinem Körper etwas ganz anderes statt, als wenn es mit einem guten Freund draußen auf einem Baum sitzt und Piratenschiff spielt. In beiden Fällen wird Energie bereitgestellt aber eine völlig andere. In der Baumszene sind die Kinder auf eine spielerische, kreative und angenehme Weise gefordert, in der Erdkundeszene ist das Kind aber wahrscheinlich unter Stress oder Druck, es ist ihm vielleicht peinlich, es fühlt sich vielleicht schuldig und hat vielleicht Angst vor den Reaktionen der Mitschüler und später der Eltern. So eine Szene kann gut und konstruktiv ablaufen mit einem Lehrer, der die Not des Kindes erkennt und Halt und Stütze geben kann, bei aller vielleicht notwendigen Mahnung oder Ansporn. Sie kann aber auch fürchterlich für das Kind werden, wenn es mit einem Lehrer, einer Klasse oder Eltern zu tun hat, die solche Situationen nutzen für Arroganz, Häme oder psychische Gewalt.

Es gibt leider so viele Möglichkeiten, einem heranwachsenden Menschen zu schaden, da dieser heranwachsende Mensch je nach Alter völlig von den ihn umgebenden Erwachsenen abhängig ist. Und wenn diese Erwachsenen selber nie Güte und liebevolles Verhalten gelernt haben, ist es schwer bis unmöglich, das vorzuleben und weiterzugeben.

All diese Situationen und noch viele mehr können es Menschen sehr schwer machen, sich auf einen Sessel zu setzen oder abends ins Bett zu legen und die Wohltat zu spüren, die ein sich entspannender Körper mit sich bringt. Die angenehme zunehmende Schwere, das in den Sessel oder die Matratze sinken, sich langsam vom Alltag zu entfernen und wohlig warm in samtigen Tiefen zu verschwinden.

Für manchen mag allein diese Beschreibung sehr berührend sein, da er oder sie so etwas einfach nie oder viel zu selten erlebt, für manch anderen mag diese Beschreibung erschreckend oder sogar abstoßend sein. Und auch hier können wieder viele Gründe für ein mangelndes Entspannungsvermögen verborgen sein.

Denn Entspannung hat mit Loslassen zu tun, mit Hingabe, damit, die wachsame Aufmerksamkeit des Tages zurückzunehmen, sich an einen sicheren und gemütlichen Ort zurückzuziehen und, wie man früher so schön sagte „den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen“.

Entspannung setzt voraus, dass ich meinen Fokus vom Außen weg lenken kann, mich selbst in den Fokus nehme aber auf eine so lockere und leichte Art, dass mein Körper versteht: Ah! Ich muss nicht mehr arbeiten, es besteht keine Bedrohung (mehr), ich darf jetzt einfach alles etwas runterfahren.

Menschen, die (sehr) viel Streß haben oder hatten, haben möglicherweise nie gelernt, dass so etwas überhaupt gefahrlos geht oder haben verlernt, wie es geht.

Die gute Nachricht ist: es ist (wieder) erlernbar. Auch noch mit 87 Jahren!

Wer sich bewusst entspannen möchte, trifft die Entscheidung, dass alles andere in den Hintergrund treten oder sogar für eine gewisse Zeit vergessen werden darf. Dass er/sie jetzt auf dem Sofa, der Sonnenliege, der Massagebank, der Yogamatte, dem Fahrrad (denn natürlich kann man sich auch in ruhiger Bewegung entspannen), im QiGong-Kurs oder mit dem Hund im Wald ist und alles andere gerade völlig egal.

Das setzt voraus, dass eine gewisse Fähigkeit zur Selbstberuhigung vorhanden ist. Denn wenn der Streß, die Angst, die Sorge so viel mehr Raum einnimmt als der Wunsch nach Entspannung, wenn die Stimme der fiesen Chefin, des blöden Nachbars, der Mutter oder was auch immer unablässig durch das Gehirn kurven und laut blöken darf, wird es schwer mit dem zur Ruhe kommen.

Es setzt ebenfalls eine gewisses Bewusstsein für Achtsamkeit voraus. Wenn ich durch den Wald laufe oder auf dem Sofa liege aber trotzdem die ganze Zeit nur an die unerledigte Arbeit oder den schwelenden Beziehungskonflikt denke, anstatt mich über den Wind in den Bäumen zu freuen oder die Bäume überhaupt nur wahrzunehmen, auch dann wird es schwierig mit der Ruhe.

Zusätzlich braucht man, wenn man Entspannung lernen möchte, ein gewisses Körpergefühl. Denn nur, wenn ich überhaupt merke, wie verspannt oder wachsam ich die ganze Zeit bin, kann mir bewusst werden, dass es vielleicht auch anders gehen kann. Nur wenn ich mitkriege, dass ich ständig die Zähne zusammenbeiße, die Schultern hochgezogen habe oder der Bauch verspannt ist, eröffnet sich mir die Möglichkeit, dass dort vielleicht auch Lockerheit einziehen könnte.

All das ist erfahrbar und erlernbar!

Z.B. in meiner Praxis oder einer anderen, zum Teil in Meditations-, Yoga- oder auch Gymnastikkursen. Aber vielleicht dort auch nicht, denn das wirkliche tiefe Hinspüren in die tiefen Schichten unseres Seins, das Wahrnehmen der Funktionen unseres Nervensystems, das sanfte Lauschen auf die oft sehr feinen Reaktionen unseres Körpers muss auch dem Lehrer oder Trainer sehr bewusst und bekannt sein, um es mit einem Schüler zusammen erforschen zu können.

Es gibt Menschen, die haben schon vieles ausprobiert. Sie waren meditieren, haben Feldenkrais gelernt und Autogenes Training. Und haben jedes Mal gemerkt „ich kann das nicht!“, „Entspannung ist nichts für mich!“, warum? Sie werden nervös, unruhig, ängstlich, rastlos, kriegen Fluchtimpulse. „Ich wollte da nichts wie raus und bin dann nie wieder hingegangen!“, habe ich in meiner Praxis schon des öfteren gehört.

Woran liegt das? Gibt es wirklich Menschen, die einfach nicht entspannen können?

Nein, gibt es nicht.

Jeder Mensch, jedes Tier, jedes Lebewesen kann und sollte sich entspannen und zwar so oft wie möglich!

Aber was passiert da, wenn Menschen so schlechte Erfahrungen mit diesen oder anderen Entspannungstechniken gemacht haben?

Das Problem ist, so paradox es klingen mag, eben genau der Streß, die Angst, die Unruhe, die inneren oder äußeren Situationen, die diese Menschen in einen so unentspannten Zustand gebracht haben.

Wenn wir lange Zeit (diese Dauer ist sehr individuell und kann nicht näher definiert werden) in hoher Anspannung gelebt haben (auch das ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich, jeder hat andere Grenzwerte, ab wann es nicht mehr lästig sondern wirklich unangenehm bis unerträglich wird), speichert sich diese Erfahrung im Körper ab.

Das ist nichts besonderes, man kann davon ausgehen, dass sich so gut wie jede Erfahrung, ob gut oder schlecht, im Körper abspeichert. Sie kennen das! Da riechen Sie nach Jahren zum ersten Mal wieder das Parfum ihrer geliebten (oder verhassten) Oma, was passiert? Sie werden augenblicklich zurückkatapultiert in die Zeit, in der Ihre Oma noch gelebt hat, Sie sehen sie wohlmöglich leibhaftig vor sich. Oder Sie hören das Kreischen von Bremsen und stehen für einen Moment wie gelähmt da, weil ihr Körper meint, dass der Unfall, der jetzt schon 25 Jahre zurück liegt, sich gerade wieder ereignet.

Oder Sie streicheln Ihrem ersten Enkelkind über das weiche Köpfchen und erleben urplötzlich viele Szenen aus der Säuglingszeit Ihrer Kinder wieder.

 

Wenn viel unangenehmes im Körper gespeichert ist, was wir logischerweise nicht gerne spüren wollen, reagiert unser Körper sehr pragmatisch. Weg damit! Verdrängung ist ein wunderbarer Mechanismus, der uns Menschen in vielem hilft und uns schützt, der uns aber auch so manches Bein stellen kann.

Denn wenn wir wirklich viel unangenehmes in uns tragen, ohne dass es sich lösen kann oder wir es verarbeiten, staut es sich quasi an. Wenn wir dann zusammenklappen, uns die Ärztin oder unser Verstand dann irgendeine Art von Entspannungstraining verschreibt, bekommt Ihr Körper die Botschaft: Hey! Dein Mensch lässt endlich locker! Du brauchst nicht mehr zu verdrängen, der ganze Mist kann endlich auf den Müll! Also, hoch damit!

Und genau das passiert und ist so völlig logisch. Denn natürlich will Ihr Körper nicht mit all dem Ärger, all der Angst, all den Sorgen weiterleben, das ist äußerst ungesund. Genauso wie Sie den Müll auch nicht in Ihrer Wohnung behalten wollen sondern ihn zur Mülltonne bringen oder auf die Mülldeponie fahren. Zum Glück ist seelischer Müll nicht so umweltschädlich! Zumindest, wenn er „fachgerecht entsorgt“ wird, verdrängter seelischer Müll kann sogar sehr umweltschädlich sein, in diesem Fall für Sie und Ihre Mitmenschen.

Das, was uns das Gefühl geben kann, wir könnten nicht entspannen, ist also genau das, weswegen wir so dringend entspannen müssen!

Der Trick in diesen Fällen ist, die Entspannung nicht mit der Holzhammermethode anzugehen (von 0 auf 100 wäre hier also z.B. von jetzt auf gleich ein- oder sogar mehrfach die Woche 60 oder mehr Minuten still sitzen oder liegen) sondern ganz fein dosiert. In Begleitung eines Menschen, der sich mit der Arbeit des Nervensystems auskennt und der Sie davon abhalten kann, zu viel auf einmal zu wollen. Der Ihnen genau erklären kann, was warum passiert und wieso zu viel oft nicht gut ist, weil Sie dann eben wieder von all dem überflutet werden könnten, was sich über die Jahre oder Jahrzehnte in Ihnen angesammelt hat. Was dann genau zum Gegenteil führt: neuer Anspannung, Flucht, Verdrängung, Aufgeben.

Ein weiterer, sehr wichtiger Faktor bei diesem Thema ist, dass es für einen Organismus, der lange unter hohem Stress gestanden hat, sehr schwer sein kann, wieder zu einem regulierteren Dasein zurück zu finden. Trauma bedeutet u.a., dass ein Körper sich permanent in einem Gefahrenzustand sieht, permanent von Bedrohung ausgeht, selbst wenn die ursprüngliche, bedrohliche Situation im Außen längst vorbei ist. Der Stress war dann so stark, dass das Nervensystem von alleine nicht mehr in entspanntere Bereiche zurückpendeln kann.

Hier braucht es (in aller Kürze) verschiedenes. Einmal kann Erholung von langanhaltendem oder sehr hohem Stress wirklich nur dann beginnen, wenn die stressauslösende Situation vorbei ist. Vorher hat der Körper ja recht, wenn er weiterhin in einer „Habacht-Stellung“ verbleibt.

Und je höher der Stresspegel ist oder war, desto unwahrscheinlicher bis unmöglich ist es, alleine aus diesem Zustand wieder heraus zu kommen. Wir Menschen brauchen dazu einen weiteren Menschen, der aufmerksam, bewusst und vor allem empathisch genug ist, uns langsam und vorsichtig wieder in ruhigere Zonen hineinzuhelfen.

 

Wenn Sie also merken, dass Sie gerne erlernen würden, sich entspannen zu können aber dabei feststellen, dass das alleine manchmal nicht einfach ist. Oder Sie feststellen, dass Sie immer wieder an Grenzen stoßen oder Gefühle, Bilder, Erinnerungen auftauchen, denen Sie sich alleine nicht gewachsen sehen, lade ich Sie herzlich dazu ein, sich auf dem Weg ein Stück weit von mir begleiten zu lassen.