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Hochsensibilität - Empathie - Feinfühligkeit

 "Hochsensible Menschen kamen nicht in diese Welt, um Opfer zu sein. Wir kamen, um Krieger zu sein. Sei mutig. Gib nicht auf. Wir brauchen alle Männer und Frauen an Deck." (Anthon St. Maarten)

“Der Planet braucht keine erfolgreichen Menschen mehr, der Planet braucht dringend Friedensstifter, Heiler, Erneuerer, Geschichtenerzähler und Liebende aller Arten. Er braucht Menschen mit Zivilcourage, bereit, sich dafür einzusetzen, die Welt lebenswert und menschlich zu gestalten. Diese Qualitäten haben wenig mit der Art Erfolg zu tun, die in unseren Kulturen verbreitet ist.“ (Dalai Lama)

 Was ist Hochsensibilität?

Als Begründerin der wissenschaftlichen Forschung über das Konstrukt und Phänomen Hochsensibilität gilt die US-amerikanische Psychologin Elaine N. Aron. Laut Aron befinden sich 15-25 % aller Menschen im Spektrum der Hochsensibilität.

Hochsensible Menschen sind keine einheitliche Gruppe, dazu unten mehr.

Laut Definition (u.a. Aron) zeichnet sich Hochsensibilität durch eine allgemein stärkere und detailliertere Wahrnehmung von Sinneseindrücken, intensiveren inneren Vorgängen sowie einer höheren Intensität des Empfindens von Stimmungen von Mitmenschen aus. Das Gesamtbild einer HSP (Hochsensiblen Person) umfasst Charaktereigenschaften, welche durch Introversion/Introvertiertheit, intensives Erleben von sozialen Beziehungen, starke Reaktionen auf Medikamente und andere Substanzen, Anfälligkeit für Stress, (Leistungs-) Druck und Zeitknappheit sowie einer meist ungewöhnlich komplexen und vielschichtigen Persönlichkeitsstruktur gekennzeichnet sind.

Ein Appell

Über Hochsensibilität ist in den letzten Jahren viel veröffentlicht und gesprochen worden. Viele Menschen wissen bereits von sich, dass sie sehr empathisch sind und über bestimmte Fähigkeiten verfügen, die ausgeprägter sind als bei anderen.

Leider findet man in vielen Publikationen eher Hinweise dazu, wie sehr empathische Menschen etwas weniger empathisch werden können, werden sie eher darin unterstützt, sich zurückzuziehen, anderen nur bedingt von sich zu erzählen.

Für viele ist es eine enorme Erkenntnis und geradezu eine Offenbarung, wenn sie den Begriff „Hochsensibilität“ für sich entdecken. Aber auch hier wird er leider oft eher entschuldigend verwendet wie „ich bin halt so, ich bin hochsensibel, ich kann das nicht ertragen“, oder „ich kann da nicht mitmachen, das ist zu viel für mich“. Häufig hat die persönliche Auseinandersetzung mit der eigenen gesteigerten Empathiefähigkeit eher etwas ausklammerndes, bringt manchmal fast eine Art Krankheitswert mit sich, der Begriff wird defizitär verwendet, auch in der Fachliteratur „Hochsensible Menschen können Lärm und Hektik nur schwer ertragen“, „Hochsensible Menschen sind oft weniger belastbar als andere“.

Hochsensibilität ist keine Krankheit.
Hochsensibilität ist keine Behinderung.
Hochsensibilität ist nichts, wofür jemand sich entschuldigen oder woran man leiden muss.

Man könnte sich fragen, ob es nicht vielleicht die Welt ist, unsere Art zu leben, die „zu ...“ ist, zu laut, zu schnell, zu viel, zu wenig achtsam.

Hochsensibel, hochsensitiv, besonders empathisch, feinfühlig zu sein, welches Wort man auch immer für sich vorzieht, ist kein Makel.

Es ist eine Gabe und Gaben sind dazu da, um genutzt zu werden. Es ist ein Geschenk, das uns gegeben wird, um unser Leben und das der anderen zu bereichern. Und dafür braucht es eine Stärkung sehr sensibler Menschen, ein größeres Bewusstsein dieser Fähigkeiten in unseren Gesellschaften, viel mehr konstruktive, positive, mutmachende Präsenz des Themas in den Medien und Menschen, die mit ihren Begabungen mutig und ehrlich voran gehen.

Denn das Gegenteil von Empathie hat unsere Welt zu dem Ort gemacht, der sie heute ist.

Der egoistische, auf kurze, persönliche Ziele ausgerichtete Machtmissbrauch sehr vieler öffentlicher und nicht öffentlicher Entscheiderpositionen, der unreflektierte Leistungsanspruch ohne Interesse an persönlichen Fähigkeiten, das altbekannte „Höher, Schneller, Weiter!“, die dicke Haut, von der erwartet wird, dass Menschen sie sich zulegen, wenn sie „etwas werden wollen“, die Diskriminierung, Ausgrenzung, Verurteilung in fast allen Lebensbereichen, die Definition von Erfolg über Geld, die generationenübergreifenden Traumatisierungen durch Krieg, Flucht, Vertreibung, Gewalt, Ignoranz und Kälte, um nur ein paar Punkte zu nennen.

Wir alle können klar sehen, an welchem Punkt wir uns befinden, wenn wir nur bereit sind, Augen und Herzen zu öffnen.

Wir alle können überlegen, nachspüren, herausfinden, in welcher Welt wir weiterhin leben wollen, wie wir miteinander umgehen wollen und Visionen finden für unser Zusammenleben mit allem, was uns umgibt.

Und gerade hoch empathische Menschen können hier wegweisend sein!

So viele Menschen erleben Leid in Beziehungen und Situationen, in denen ihnen abgesprochen wird, sie selbst sein zu können. Wie viele kennen aus persönlicher Erfahrung Aussprüche wie „reiß dich zusammen!“, „jetzt übertreibst du aber!“, „das meinst du doch nicht ernst!“, „du Spaßbremse!“, „jetzt fängt das wieder an!“ uvm., genauso wie nonverbale Signale wie Blicke, Gesten, Gesichtsausdrücke, die anzeigen sollen, dass der Sender den Empfänger nicht ernst nimmt, sich über ihn lustig macht.

Je feinfühliger Menschen sind, desto mehr Gefahr laufen sie, in Kontakten verlacht, verurteilt, bewertet und verletzt zu werden mit dem Ergebnis, dass sie sich immer weiter in sich zurückziehen. Ein hochsensibler Mensch wird eher nicht aufstehen und seinen Standpunkt selbstbewusst klarstellen oder sich in schwierigen Situationen offensiv behaupten. Er ist viel zu verständnisvoll, viel zu empathisch, um nicht mitzukriegen, wieviel Angst, Ablehnung, Verletzung oder Leid sein Gegenüber zu seinen Äußerungen bewogen hat.

Und genau hier ist der Punkt, der so wichtig im Umgang mit der eigenen Hochsensibilität und der anderer Menschen ist: sich immer wieder klein zu machen, sich selbst zu kritisieren („mit mir stimmt doch etwas nicht“, „ich fühle mich so falsch“, „ich bin nicht richtig“...), sich den Meinungen anderer anzuschließen, um nicht unangenehm aufzufallen, seine innere Welt völlig zu verschließen und geheim zu halten, all das hilft niemandem, der hochsensiblen Person selbst am allerwenigsten.

Dadurch geht auch eine wertvolle Möglichkeit verloren, für andere, die ihre Feinfühligkeit ebenfalls versteckt halten, als Beispiel voranzugehen.

Mögliche Qualitäten hochsensibler Personen (HSP)

HSP verfügen oft über mehr oder ausgeprägtere Fähigkeiten und Begabungen als nicht hochsensible Menschen. Hochsensibilität kann mit Hochbegabung in einem oder mehreren Bereichen gekoppelt sein, muss aber nicht. Sie rangiert von einem Menschen, der etwas feiner hört, fühlt, schmeckt, sieht und die Stimmung im Raum gut wahrnehmen und benennen kann bis hin zu Personen, die hochanalytische Denkprozesse, innovative Lösungsvorschläge mit einer außergewöhnlichen emotionalen und energetischen Wahrnehmungsfähigkeit ihr Eigen nennen können. HSP gibt es in mannigfaltiger Gestalt, hier ein paar Gedanken dazu:

  • HSP verfügen ganz allgemein oft über außergewöhnliche Wahrnehmungsbegabungen, sie hören, riechen, schmecken, sehen mehr, feiner, klarer als andere, nehmen Dinge wahr, die andere nicht wahrnehmen können, erspüren die Atmosphäre eines Raumes innerhalb von Millisekunden, fühlen, wie es dem anderen geht, selbst wenn der weit entfernt ist, haben Eingebungen und eine ausgeprägte Intuition uvm.
  • HSP empfinden/bemerken Veränderungen, Neuerungen, Trends möglicherweise lange, bevor sie allgemein sichtbar und greifbar werden
  • sie sind manchmal diejenigen, die unliebsame Wahrheiten aussprechen, die von anderen verschwiegen oder ignoriert werden, die Missstände benennen, die wie ein fein kalibrierter Seismograf einer Gruppe oder einer Gesellschaft fungieren können
  • durch ihre ausgeprägte Fähigkeit, feine emotionale Änderungen wahrzunehmen, leise Bewegungen in Energie, Emotion, Gestik usw. sind HSP in der Lage, Missverständnissen, Konflikten und Krisen vorzubeugen
  • Menschen fühlen sich dort am wohlsten, wo neben dem richtigen Produkt/Thema/Projekt auch die Energie, die Atmosphäre, die Art der Kommunikation, der Ton, die Lautstärke etc. stimmig sind. Das wahrzunehmen, zu beeinflussen, zu korrigieren, kann eine Kernkompetenz von HSP sein
  •     HSP verfügen über ein hohes Gespür für große Zusammenhänge, für Stimmigkeit, für Ethik, sie haben eine hohe Beobachtungsgabe, Differenzierungsfähigkeit und ein gutes Gespür für das große Ganze wie auch für feinste Details, ihre umfassende, vorausschauende Wahrnehmungsfähigkeit kann zu völlig neuen Blickwinkeln, Herangehensweisen und Lösungsmöglichkeiten führen
  • sind HSP in der Lage, ein Projekt in einem für sie stimmigen Rahmen durchzuführen, können sie ein hohes Engagement entwickeln, viel Motivation für die Sache und einen hohen Idealismus mit oft beeindruckenden und überraschenden Ergebnissen
  • sie verfügen über ein hohes Verantwortungsbewusstsein, sehr komplexe Denkvorgänge, eine hohe Handlungsethik, verhalten sich oft weitsichtig und respektvoll durch ihre Berücksichtigung vieler Facetten einer Situation und der Wahrnehmung feinster Nuancen
  • durch ihre hohe Empathiefähigkeit sind sie der ideale Zuhörer, sie haben viel Verständnis für andere, da sie ihre Blockaden/Schmerzen/Wunden oft erspüren können, HSP haben eine große Bereitschaft zu verzeihen, da sie nicht nur die eigenen sondern auch die Beweggründe des Gegenübers berücksichtigen, sie helfen anderen oft allein durch ihr mitfühlendes und präsentes Zuhören
  • HSP verfügen oft über eine große Fähigkeit zur Kreativität! Nicht nur mit Pinsel und Farbe, Wolle oder Holz sondern auch ganz praktisch im Alltag, ihre Problemlösungen in Familie und Beruf sind oft legendä

Die Lernaufgaben hochsensibler Menschen

Aus den verschiedenen Fähigkeiten ergeben sich viele Lernaufgaben - ohne Anspruch an Vollständigkeit:

  • durch die vielen Informationen allein durch die gesteigerte Wahrnehmungsfähigkeit verliert man oft das Eigene aus dem Blick: wer bin ich, was brauche ich, was sind meine Bedürfnisse?
  • Reizüberflutung vorbeugen, herausfinden, wann genug ist, woran man merkt, dass man sich seiner Grenze nähert, was hilft, um wieder ruhiger zu werden
  • Grenzen! Was ist meins, was deins, wofür trage ich Verantwortung, wofür du, was sind meine Bedürfnisse und wie erfülle ich sie, was deine?
  • Die hohe Intuition führt möglicherweise dazu, den Verstand zu vernachlässigen, die wahre Kraft liegt aber in der kombinierten und geschickten Nutzung der Wahrnehmungskanäle und des Verstandes
  • Schwierigkeiten bei der Entscheidungsfindung hinterfragen. Die oft sehr komplexen Gedankengängen berücksichtigen so viele Seiten eines Themas, dass oft völlig übersehen wird, was das eigene Ziel ist, was die eigenen Bedürfnisse sind
  • die eigenen Wahrnehmungen nicht als unfehlbar und nicht als die alleinige Wahrheit deuten sondern als die eigene Wahrnehmung einer bestimmten Situation, die jemand anderes ganz anders fühlen und beurteilen kann
  • sehr sensibel werden in Bezug auf die Kommunikation der eigenen Wahrnehmungen, lernen, andere nicht zu überfordern, indem man z.B. ungefragt ihre verdrängten Wunden aufdeckt
  • Ausruhen lernen! Auftanken, Sammeln, Erden. Zu viele Reize, zu viele Themen, zu viele Probleme im Außen lassen einen schnell den Boden unter den Füßen verlieren. Ohne Bodenhaftung kann niemand wirken und arbeiten! Kreative Pausen zwischen kreativen Projekten. Lernen, dass die Schwangerschaft vor der Geburt kommt und der Körper seine Erholungsphasen benötigt, um gut funktionieren zu können, vor allem auf diesem Level

Wir alle brauchen mehr feinfühlige, empathische, hochsensible, mitfühlende Menschen um uns, sichtbar und hörbar in unseren Gruppen, unseren Betrieben, in der Politik, in den Medien. Hochsensibilität ist völlig normal, ein gesunder und wichtiger Bestandteil des Menschseins! Hochsensible Menschen sind heilsame, helfende, unterstützende, kreative Menschen, oft hochbegabte Menschen in unserer Mitte, die uns als Gesellschaft und jedem einzelnen sehr viel zu geben haben! Wir alle können so viel voneinander lernen! Es braucht jede Stimme und zwar jetzt!