Zum Hauptinhalt springen

Nadelöhrerfahrungen und Nahtoderfahrungen

So gut wie jeder Mensch erlebt in seinem Leben einmalig oder auch immer mal wieder Situationen, die außergewöhnlich sind. Außergewöhnlich großartig, schön, befreiend, kräftigend. Aber eben auch außergewöhnlich schlimm. Das können Gewalterfahrungen sein, Unfälle, große Krisen, starke Trauer, schwere Verluste, Krankheiten, Erlebnisse rund um ärztliche Behandlungen, Krankenhausaufenthalte, Operationen und Narkosen, Koma, Stürze, schwerste Schockzustände, Nahtoderfahrungen, usw.

Solche Erfahrungen können schlimm sein und dann aber, meist durch Unterstützung von außen, gut verarbeitet werden, wenn man das Glück hat, in einer hilfreichen Umgebung zu sein, wo Menschen erkennen, dass irgendetwas passiert ist, was nicht gut war.

Oft ist es aber so, dass niemand sieht, dass etwas Schlimmes passiert ist, also etwas zusätzlich zu dem, was eh schon schlimm war. Wenn das kleine Kind oder der Erwachsene operiert werden muss oder einen Unfall hatte, sind alle Beteiligten froh, wenn es oder er das Ganze mehr oder weniger unbeschadet überstanden hat. Wenn die körperlichen Wunden heilen, verlieren viele Menschen das Geschehen aus dem Blick. Es ist ja alles wieder gut oder wenn nicht, wird irgendwie dafür gesorgt, dass es so gut wie möglich wird. Hat ein Mensch einen Schock erlitten oder einen schweren Verlust, ist es ja irgendwie auch normal, dass man danach erstmal nicht mehr derselbe ist. Oder nicht?

Und wenn die Oma nach einem schweren Sturz auf einmal so komisch ist und sich anders verhält, naja, sie ist halt alt. Genauso kann man immer etwas auf die schwere Kindheit schieben mit der Gewalt im Elternhaus, den Alkoholismus der Mutter oder die Depression des Vaters.

Schlimme Ereignisse lösen etwas aus und psychische und physische Traumata auch, das können sich heute viele Menschen erklären. Es gibt aber tatsächlich noch andere Ebenen, auf denen schwere Erfahrungen uns nachhaltig verändern können.

 

Gesellschaftlich sind wir darauf geprägt, eher über beunruhigende, tief bewegende Dinge hinwegzugehen. Wir sprechen über die Ereignisse hinweg, erzählen von unseren Erfahrungen und sind stolz darauf, dass es uns nicht wirklich berührt, „ich kriege das schon hin“, „So ist das Leben halt“, „Hat uns auch nicht geschadet“, „Was einen nicht umbringt...“ sind z.B. typische Sätze, die jeder von uns bestimmt schon oft gehört hat. Man fühlt sich vielleicht etwas merkwürdig, wenn jemand von einem schweren Unfall erzählt oder davon, als Kind früher viel alleingelassen worden zu sein oder von den 7 Wochen allein im Krankenhaus, damals mit 4, wenn der Erzählende dabei so ganz unbeteiligt wirkt, vielleicht sogar lacht oder Scherze macht.

Was ist denn da bloß los? Warum verhalten wir uns so?

 

Das kleine, vierjährige Kind, vielleicht ist es sogar noch jünger, das wegen einer schweren Erkrankung oder mehreren Operationen/Untersuchungen für viele Wochen am Stück ganz alleine im Krankenhaus liegt. Vielleicht noch nicht einmal auf einer Kinderstation sondern mit wechselnden Erwachsenen auf einem Zimmer. Vielleicht nicht immer mit Erwachsenen, die Rücksicht nehmen oder fürsorglich sein können im Umgang mit so einem kleinen Wesen. Stellen wir uns vor, tagein, tagaus sieht es immer wieder andere Menschen, kaum vertraute Menschen, alle tragen merkwürdige Kleidung, sind teilweise oder überwiegend sogar vermummt (Mundschutz, Handschuhe, Kopfbedeckungen, Kittel), hantieren mit beängstigenden Dingen, medizinischem Gerät, haben keine Zeit für das Kind, hetzen rein ins Zimmer und wieder raus, oft sogar ohne Blickkontakt, geschweige denn angenehmen Berührungen. Die anderen Patienten werden ins Zimmer rein- und wieder rausgeschoben und niemand erklärt, was dort eigentlich geschieht. Die Überwachungsgeräte im Raum machen Geräusche, das Reinigungspersonal arbeitet sich durch die Zimmer und hat ebenfalls keine Zeit für ein kleines Kind, das nicht sofort versteht, dass es jetzt das Bett verlassen muss oder nicht im Weg stehen soll. Und dann erst die Untersuchungen und Operationen selbst! Viele Mitarbeiter der Krankenhäuser sind auch heute noch nicht geschult darin, Menschen, geschweige denn Kinder, auf solche Eingriffe auf eine achtsame, wirklich hilfreiche Art und Weise vorzubereiten und zu begleiten. Die Prozesse laufen ab, die Strukturen sind, wie sie sind und ein kleines, einsames Kind geht irgendwo zwischen Desinfektionsmittelgeruch, hallendem Krankenhausflur, blendendem OP-Licht, Angst, Verwirrung und Einsamkeit langsam unter.

Immer wieder wichtig: es geht nicht um Schuld. Es wäre wunderbar, wenn medizinisches Personal (passend zu diesem Beispiel, es könnte aber natürlich auch ein ganz anderes Setting sein) umfassend geschult würde darin, was mit Menschen geschehen kann, die ihre Selbstbestimmung, ihre Selbstachtung, ihre Wahlfreiheit, ihre Würde gefühlt oder real an der Krankenhauspforte abgeben müssen. Mit denen Dinge gemacht werden, ohne dass sie erfahren warum und wozu, über die entschieden wird und die versuchen, so tapfer wie möglich zu sein angesichts teils sehr bedrohlicher und beängstigender Verfahren und Prognosen, das aber oft nur äußerlich schaffen.

Es wäre wunderbar, wenn es immer mehr so wäre und auch früher schon so gewesen wäre, dass Eltern ihre Kinder mehr, intensiver und besser begleiten können, wenn diese wochen- oder monatelang in einer medizinischen Einrichtung sein müssen.

Aber darum geht es hier nur am Rande.

Genauso der Mensch, der einen geliebten Menschen verliert. Durch Trennung oder Tod. Auch das kann natürlich, wie alles, auf eine Art ablaufen, in der dieser Mensch auf eine gute und gesunde Art und Weise mit Schock und Trauer umgehen kann, je nach Zustand, Situation, bisherigen Erfahrungen, Umfeld. Ein starker Verlust kann aber auch etwas sein, was das bisherige Leben zum Stillstand, das bisherige Selbstverständnis zum Verschwinden bringt. Wenn Kinder ihre Eltern verlieren oder ein Elternteil oder Eltern ihr Kind oder Kinder aber auch wenn ein Erwachsener einen über alles geliebten Menschen verliert.

Wenn nicht die entsprechende Begleitung und Unterstützung da ist, kann es passieren, dass die erlebten Gefühle und Energien so stark, übermächtig, verwirrend und beängstigend sind, dass wir uns davor schützen, sie ignorieren oder verdrängen. Wir trennen dann einen mehr oder weniger großen Teil von uns ab, eben den, den wir nicht spüren wollen. Man kann auch sagen, dass wir einen Teil oder Teile von uns abtöten.

 

Wächst ein Kind in einer Familie auf, in der aus irgendeinem Grund Lebensfreude, Lebendigkeit, Gefühle, Spiel und Lärm nicht erlaubt ist, hat das selbstverständlich Folgen. Was auch immer die Hintergründe sind, ein schwerkrankes Familienmitglied, das viel Ruhe braucht, viel arbeitende Eltern, die Ruhe wollen, wenn sie endlich nicht arbeiten müssen, sehr rigide Vorstellungen von Verhalten und Betragen, die Gefahr von Gewalt oder Verurteilung, vor der Kinder sich lieber verstecken,... Kinder lernen sehr schnell, was sie machen können und dürfen und was nicht, Kinder sind enorm anpassungsfähig. Allein die Tatsache, dass ein in Deutschland geborenes Kind, das im Alter von 2 oder 3 Jahren nach Russland adoptiert wird, innerhalb erstaunlich kurzer Zeit russisch sprechen lernen kann, zeigt, wie flexibel und lernbereit Kinder sind. Kinder betäuben Bereiche in sich selbst oder töten sie gar ab, die von ihrem Umfeld nicht gewollt sind. Das klassische Beispiel ist der hoffentlich immer mehr zur Vergangenheit gehörende Spruch von den Kindern, die man zwar sehen aber nicht hören darf.

Oder der Mensch, der plötzlich schwer stürzt. Sei es nur von der Bordsteinkante, einer Leiter, einer Klippe, bei allen drei Beispielen kann man sich schwer verletzen und sehr erschrecken. Bei der Klippe kann sich das vermutlich jeder vorstellen aber die Bordsteinkante oder die Teppichfalte war vielleicht überhaupt nicht präsent. Man läuft durch die Gegend, in Gedanken ganz woanders, schaut nicht genau hin und das nächste, was man mitbekommt, ist, dass man mit starken Schmerzen, benommen, desorientiert am Boden liegt und keine Ahnung hat, was passiert ist. Oder man wacht sogar erst im Rettungswagen oder im Krankenhaus auf. Die Schnelligkeit, das Unvorhergesehene, der absolute Kontrollverlust ist oft das, was die Intensität des Schreckens ausmacht, nicht unbedingt die Schwere des Unfalls. Plötzlich nicht mehr zu wissen, wo oben oder unten ist, kann sich lebensbedrohlich anfühlen. Plötzlich aus seinem gewohnten Leben gerissen zu werden, behandelt, operiert werden zu müssen, sich Prozessen unterziehen zu müssen, die man eigentlich nicht will, kann enorm beunruhigend und schockierend sein. Oder nach einem Sturz am Boden zu liegen, nicht mehr alleine aufstehen zu können und stunden- oder tagelang keine Hilfe zu bekommen, kann ganz real lebensbedrohlich sein, dafür muss noch nicht einmal eine schwere Verletzung vorliegen.

 

In all diesen Beispielen, von denen es noch so viel mehr gäbe, steckt eine immense Intensität, das Potential für sehr viel Angst, Hilflosigkeit, Bedrohlichkeit, Todesangst.

Das Element der Todesangst ist es tatsächlich, die all diese Erfahrungen eint. Todesangst haben wir, was jetzt vielleicht etwas klarer geworden ist, nicht nur bei unmittelbar lebensbedrohlichen Zuständen. Das kleine Kind im Krankenhaus schwebt vielleicht überhaupt nicht in Lebensgefahr, ganz im Gegenteil, es ist dort, damit es ihm endlich besser geht und es wird so gut wie möglich medizinisch versorgt. Der Sturz von der Bordsteinkante ist vielleicht sehr erschreckend und schmerzhaft gewesen, zieht vielleicht monatelange Besuche bei Ärzten und Physiotherapeuten nach sich, ist aber auch nicht lebensbedrohlich. Auch das Aufwachsen in einer giftigen, gewaltreichen Umgebung kann, ist aber nicht unbedingt eine Bedrohung für Leib und Leben.

Und doch ist sie da: die Todesangst.

Im Endeffekt beinhaltet wahrscheinlich jedes Trauma Todesangst. Man könnte auch sagen, eine Nahtoderfahrung.

Allein bei diesen Worten kann es einen eventuell schon gruseln. Tief in uns gibt es ein Wissen darüber, dass es diese Erfahrungen gibt und dass sie etwas außergewöhnliches sind. Außerhalb des Gewohnten. Was tatsächlich nicht heißt, dass es schlechte Erfahrungen sind, sie sind aber völlig anders.

Wer selbst schon eine Nahtoderfahrung gemacht hat oder jemanden kennt, weiß, dass sie ganz im Gegenteil, oft als sehr angenehm oder sogar schön beschrieben werden. Die Ruhe, die Gelassenheit, das Licht, wohlmeinende Stimmen oder Wesen, manche berichten von verstorbenen Freunden oder Angehörigen, die plötzlich um einen sind. Man befindet sich nicht mehr im kranken Körper, in der schwierigen Situation, nicht mehr im bedrohlichen Elternhaus oder dem brennenden Auto sondern schwebt schwerelos und schmerzlos irgendwo darüber. Das ist übrigens auch oft die Perspektive, aus der über schwere Traumata berichtet wird. Von weit oben, weit hinten, aus der Vogelperspektive, von der Zimmerdecke aus oder aus einem anderen Zimmer heraus.

Manchmal können diese Menschen sogar Gespräche zitieren, die sie in der Bewusstlosigkeit dem normalen Verständnis nach überhaupt nicht mitbekommen haben können.

Alle Menschen haben in sich innewohnend die Fähigkeit dazu, aus dem Leben auszusteigen, den eigenen Körper zu verlassen. Was klingt wie etwas aus einem Science-Fiction-Film ist für sehr viele Menschen Realität und für Traumatherapeuten tägliches Thema.

Steigt ein Mensch aus seinem Körper aus, weil die Situation im Körper zu unerträglich ist, geschieht Stillstand. Er erreicht einen schwarzen Punkt, die Situation wird nicht weitererlebt, nicht weiterverfolgt, nicht be- oder verarbeitet, nicht gelöst. Er steigt aus. Alles friert ein und wird starr.

Was extrem hilfreich sein kann, wenn die Situation so grauenhaft war, dass man es nicht mehr ausgehalten hat.

In der Körperarbeit gibt es den Begriff der Pulsation, unsere Körper pulsieren mit Lebensenergie, unser Gewebe pulsiert, die Lebenssäfte in Form von Blut oder Gewebsflüssigkeit werden durch den Körper pulsiert, transportiert, um dort ihr Werk verrichten zu können, unser Herz pulsiert, unser Verdauungssystem, genau wie Ebbe und Flut, Tag und Nacht, die Tages- und Jahreszeiten, genau wie unsere Gefühle kommen und gehen. Diese Pulsation, der Wechsel, die konstante Veränderung und Weiterentwicklung bedeutet Leben.

Leben ist Bewegung, Stillstand ist Tod.

Ist das, was wir gerade erleben müssen zu grauenhaft, zu schrecklich, wird aus Bewegung Erstarrung. Schreck und Angst ist sich zusammenziehen und erstarren. Wenn ich noch kämpfen oder fliehen kann, ist sicher schon viel Schreck da aber auch noch viel Bewegung, Leben, Kraft und Möglichkeiten. Ist das Grauen zu groß, der Schrecken zu stark, hört die Bewegungen auf, die Möglichkeiten verschwinden mit der Kraft. Auf der körperlichen Ebene wird auch die Pulsation weniger, ein ganz wichtiger, lange übersehener Punkt. Bis vor nicht allzu langer Zeit sind erschreckend viele Menschen an starker Trauer, an starken traumatischen Erfahrungen gestorben! Zu viel Erstarrung, zu viel Stillstand vertragen unsere Körper nicht. Sie sind absolute Wunderwerke aber wenn unsere Lebensenergie abgetötet werden muss, um das Grauen aushalten zu können, tötet es irgendwann den ganzen Körper.

Vielleicht kann sich der ein oder andere an solche Erzählungen erinnern, dass der alte Nachbar nach dem Tod seiner Frau an der Trauer gestorben ist. Oder an der Schuld wegen diesem oder jenem Vergehen. Kinderheime oder auch psychiatrische Anstalten waren lange Zeit ein Ort des Schreckens. Nicht immer und überall, zum Glück. Aber wie geht es einem Kind, das nach dem plötzlichen Tod der geliebten Eltern in ein liebloses Kinderheim kommt, dort niemanden kennt, sich völlig umgewöhnen muss, nicht in seiner Trauer unterstützt wird, vielleicht keinen Anschluss findet und zusehen muss, wie jahrein, jahraus, die Kinder um es herum neue Familien finden, während es selbst ganz für sich alleine immer älter und einsamer wird? Es war nicht immer der Typhus oder die Ruhr, die solche Menschen getötet haben.

 

Doch viele leben weiter oder führen ihr Leben fort, begraben das, was war, töten die Teile ab, begraben die dunklen Punkte in sich, lassen sie ruhen. Allein unser Sprachgebrauch ist schon sehr entlarvend. „Ich habe überlebt, aber nicht gelebt“, „ich fühle mich nicht von dieser Welt“, „ich bin mehr dort als hier“, „ich bin mehr tot als lebendig“, sind einige typische Sätze, die man so hört.

Es kostet unglaublich viel Energie, weiterzumachen, diese Erfahrungen in sich zu begraben und die schwarzen Löcher von sich weg zu halten. Denn unsere Körper wollen das eigentlich nicht. Unsere Körper wollen leben, wollen strömen, lebendig sein, dafür sind sie gemacht. Manchmal gibt es irgendwelche Symptome, neben dem Gefühl des nicht lebendig seins. Ein Gefühl von Lähmung, Kraftlosigkeit, Erschöpfung, Schlafprobleme, Angst, Misstrauen, Infektanfälligkeit, Schmerzen, um nur einige zu nennen. Die mit einer Nahtoderfahrung zusammenhängen können aber selbstverständlich nicht müssen.

 

Meist ist es ein unbestimmtes Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Dass es eigentlich anders sein müsste oder könnte. Und die oben beschriebenen Gefühle von Leblosigkeit, Abgetrenntsein, nicht von dieser Welt sein. Man musste etwas von sich abtöten: Gefühle, Reaktionen, Gesten, Mimik, Bewegungen, Sprache, Fähigkeiten, Bedürfnisse, Sinneswahrnehmungen, das Eigene, die eigene Kraft,...

Je mehr wir in uns lähmen oder umbringen müssen, desto mehr müssen wir uns halten. Wir alle brauchen zum guten und gesunden Aufwachsen ein Umfeld, was Sicherheit, Verständnis, Unterstützung und Halt bietet, genauso wie Liebe, Freude, Anregung, Einladungen, alles im ausreichenden Maße. Wenn wir etwas in uns töten müssen, weil es nicht da sein darf, sind diese Qualitäten ganz offensichtlich nicht vorhanden oder nur so unzuverlässig, dass sie nicht ausreichen. Halt zu haben ist elementar, ohne Halt kann ein Kind nicht aufwachsen und wenn der Halt nicht von außen kommt, schafft es ein Kind irgendwie, ihn sich selbst zu geben. Sich selbst halten zu müssen, kommt für Kinder aber einer riesigen Überforderung gleich, was wiederum meist mit viel Angst, Hilflosigkeit, oft auch Wut einhergeht. Und all das muss dann vielleicht abgetötet werden, weil es im Außen nicht akzeptiert wird. Schwerstarbeit.

 

Kommt ein Mensch irgendwann in ein therapeutisches Setting, wo die Möglichkeit besteht, an solchen schwarzen Punkten, Nadelöhr- oder Nahtoderfahrungen zu arbeiten, ist oft viel Angst und Unsicherheit da. Was sehr verständlich ist, wissen wir doch alle instinktiv, dass es diese Bereiche in uns gibt und auch, unter was für Umständen sie entstanden sind. Wir wissen es oft tatsächlich nicht bewusst. Vielleicht haben wir Vermutungen, vielleicht auch nicht. Das ist auch nicht relevant. Die Geschichten, die unser Verstand um unsere Gefühle und Energien herum erzählt, sind bei der Arbeit oft eher hinderlich. Nicht immer, manchmal sind Worte entscheidend. Aber oft sind es gerade die Geschichten, die wir schon so oft erzählt oder gedacht haben, die uns an der Oberfläche halten. Opfer von Gewalt und Missbrauch können oft erzählen, was sie erlebt haben, Angehörige von schwer kranken Menschen haben oft viel zu berichten, kennen ganze medizinische Berichte auswendig aber das sind alles nur die Worte. Das, worum es geht, die Gefühle und Energien, liegen weit darunter.

In der Arbeit mit solchen existentiellen Erfahrungen nun geht es genau um diese Ebenen. Will man sich aus einem schwarzen Loch befreien, vom Stillstand wieder zurück ins Leben kommen, kommt man nicht darum herum, noch einmal durch diese Gefühle und Energien hindurchzugehen. Man hat ganz sprichwörtlich keine Wahl.

Nadelöhrerfahrungen heißen Nadelöhrerfahrungen, weil sie sich genauso anfühlen. Der Nähfaden befindet sich zuerst auf der Garnrolle, irgendwo, wird abgerollt und muss dann durch dieses winzig kleine Loch hindurch. Dort ist es sehr eng, man kann es sehr leicht verpassen und es ist wirklich nicht einfach, es zu finden und zu treffen. In der Handarbeit gibt es eine glorreiche Erfindung: die Einfädelhilfe! Ein kleines, simples Metallinstrument mit einem viel größeren Nadelöhr, mit dessen Hilfe man den Faden durch das eigentliche, winzige Nadelöhr schieben kann. Der eine oder die andere kennen es vielleicht noch, dass es verpönt war, eine Einfädelhilfe zu benutzen. Das machen nur Faule! Zum Glück hat sich in unserer Gesellschaft viel verändert. Heute kann hoffentlich jeder, der seinen Faden mit einer Einfädelhilfe einfädeln möchte, das ungestört tun und jeder, der bei seinen inneren Prozessen Unterstützung braucht, kann auch das tun.

Alleine sich an Nahtod- oder Nadelöhrerfahrungen heranwagen ist kaum möglich. Es braucht tatsächlich die Unterstützung eines Menschen, der sich mit diesen Themen auskennt, der um die Intensität der Energien weiß, die dort in den schwarzen Punkten gefangen sind.

Denn diese Energien werden wieder frei gesetzt, hat man das Öhr durchschritten! Darum geht es ja, das Abgetötete wieder ins Leben zurückzuholen. Die Bewegungen, die Gefühle, die Kraft, die Lautstärke, die Wildheit, die Kreativität, die umgebracht werden musste, um dazu gehören zu können, wieder aus der Lähmung und der Dunkelheit, der Stille zu holen.

Nadelöhrprozesse sind intensiv. Es braucht eine gute Zusammenarbeit, Vertrauen und Mut! Sich trauen reicht für den Anfang. Der Wunsch, all das, was man abtöten musste, dann und damals, wieder zu sich holen zu wollen. Wieder leben zu wollen. Die Bereitschaft, auf dem Weg durch das Nadelöhr in die eigene Tiefe zu tauchen, mit seinem Körper zu kommunizieren bzw. ihn sprechen zu lassen. Die hohe Energie zuzulassen.

In der Nadelöhrarbeit nutzen wir genau diese hohe Energie, die früher nicht gewollt war oder unaushaltbar, um durch das Nadelöhr zu gehen.

Das alles darf geübt werden, oft müssen erst andere Dinge gelernt oder aus dem Weg geräumt werden, bevor man in diese dunklen Tiefen abtauchen kann. Aber oft ist es gut zu wissen, dass es die Möglichkeit gibt, dass man nicht für den Rest des Lebens wie scheintot bleiben muss. Dass eine Wiedergeburt möglich ist.