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Beendigung eines Konfliktes

Wo es Leben gibt, gibt es auch Konflikte, könnte man meinen.

Wer kennt es nicht, in jedem Lebensalter, in jeder Lebenssituation geraten Menschen (wie auch andere Lebensformen) zuweilen aneinander. Manchmal sind Missverständnisse oder Meinungsverschiedenheiten schnell und leicht aus der Welt geschafft, manchmal braucht es mehrere Gespräche, manchmal wird aus einem Disput ein großer, schwelender Konflikt, manchmal ein langwieriger, offener Krieg.

Kinder sollten idealerweise von ihren Eltern lernen, wie schwere Konflikte vermieden und wieder aufgelöst werden.

Leider ist es aber in vielen Familien so, dass Eltern selber nie gelernt haben, wie man aus Streits oder offenen Beschuldigungen wieder herauskommt (bzw. gar nicht erst hineingerät) und können es so ihren Kindern nicht vermitteln. Gerade starke Anfeindungen, hasserfüllte Beleidigungen, lautes Schreien und gegenseitige Vorwürfe aber auch Schweigen, Ignorieren, „hintenrum“ mit anderen über andere sprechen, Lästern etc. haben eine ganz eigene Dynamik und lösen sich meist nicht mehr von alleine und schon gar nicht von alleine im Guten auf.

Für alle Menschen aber gerade für Kinder ist es aber so essentiell wichtig, zu lernen, wie Streits zum Wohle aller beigelegt und gelöst werden können. Essentiell, da wir es für unsere körperliche und geistige Gesundheit, unseren Zusammenhalt und unser Vertrauen als Familie, Team, Freundeskreis oder in der Beziehung brauchen, nach einem Streit uns wieder miteinander freuen, entspannen und regenerieren zu können. Das wiederum geht nur, wenn alle Beteiligten sich so schnell wie möglich darum bemühen, die Streitthemen zu klären, Verletzungen zu heilen und Bedürfnisse soweit wie möglich zu erfüllen, so dass alle wieder unvoreingenommen und liebevoll miteinander umgehen können.

Was aber nun, wenn in einer Familie Streits nicht gelöst werden, was leider öfter vorkommt, als man denkt? Wie geht das überhaupt? Eine oft durchgeführte Methode ist, an einem Punkt im Konflikt z.B. als Elternteil/Partner einfach den Raum zu verlassen und damit die Fortführung des Disputes zu verhindern. Besonders beeindruckend für die anderen Beteiligten ist dies, wenn z.B. der Vater gerade lautstark seine Meinung vertreten hat und zur Untermalung dessen Türen knallend verschwindet. Oder die Mutter bricht in Tränen aus, die irgendwann in beklemmendes Schweigen übergehen, während die Mutter schweigend aber mit anklagendem Gestus oder aber verbal lamentierend im Schlafzimmer verschwindet, woraus sie erst Stunden oder Tage später wieder erscheinen wird. Das sind Geschlechterklischees, die aber leider zu oft von Klienten benannt werden, als dass sie reine Klischees sein können. Eine weitere Möglichkeit unter vielen wenig hilfreichen bis richtiggehend destruktiven ist die, irgendwann honigsüß einzufordern, dass sich jetzt alle bitte wieder vertragen und wieder lieb und ruhig sein sollen.

Der Streit ist somit einfach vorbei. Nichts ist gelöst, geregelt oder besprochen, nichts geklärt oder bereinigt. Alle bleiben mit einer sehr schwierig zu verarbeitenden hohen Energie zurück. Das ist für Erwachsene sehr herausfordernd, für Kinder aber noch mehr. Vor allem, da sie meist zusätzlich von Schuldgefühlen geplagt werden, da Kinder sich schnell für das Verhalten, Wohl und Wehe der Eltern verantwortlich machen.

Kinder, die solche oder ähnliche Verhaltensweisen immer wieder oder jedes Mal erleben, wenn Streit ausgebrochen ist, lernen: Streit wird nicht gelöst. Streit hört irgendwann einfach auf, das Gefühl ist unangenehm, alle bleiben am ungelösten Punkt hängen und müssen selber sehen, wie sie mit den hochkochenden und aufgestauten Gefühlen umgehen, die ungelöste Situation weiterführen und gleichzeitig wohlmöglich auch noch sich wütenden, vorwurfsvollen, depressiven oder leidenden Eltern gegenüber verhalten.

So etwas ist für Kinder, aber natürlich auch Erwachsene, innere Schwerstarbeit bis fast unmöglich, je nach Intensität und Thematik. Denn das Lernen, wie wir Unstimmigkeiten im Außen lösen ist gleichzeitig immer auch ein Lernen, wie wir Unstimmigkeiten in uns selbst lösen können. So, wie Eltern mit Konflikten in der Familie umgehen, gehen die Kinder der Familie weiterhin (bis sie Alternativen erlernen) mit äußeren und inneren Konflikten um.

Selbst wenn die Tochter selber so sehr unter der tagelang vorwurfsvoll schweigenden und weinenden Mutter gelitten hat, findet sie sich vielleicht irgendwann selber schweigend und weinend im Bett wieder, nachdem ihr Partner, eine Freundin, ihre Kinder etwas getan haben, was sie wütend oder verzweifelt hat werden lassen. Selbst wenn der Sohn sich so hilflos und entmachtet gefühlt hat, wenn der Vater tobend und Tabus verteilend herumgebrüllt und die Kinder zu Ruhe und Bravsein gezwungen hat, wird er sich wohlmöglich in seinen späteren Partnerschaften und seiner späteren Familie selber durch Brüllen oder verbale Gewalt durchsetzen.

Man verzeihe das erneute Geschlechterklischee, es geht natürlich auch ganz anders aber diese Varianten sind die absoluten Klassiker.

Spricht man mit Menschen, die solche „Strategien“ in ihrer Ursprungsfamilie gelernt haben, kommt ein Wort ganz sicher nicht vor: Wiedergutmachung. Dazu später mehr.

 

Wie können Konflikte denn nun zufriedenstellend beendet werden?

Die Konfliktlösung selbst ist ein weites Feld, hier kann von der Fähigkeit zur Beobachtung und Regulierung der eigenen Gefühle geschrieben werden. Der Fähigkeit, sein inneres Erleben überhaupt in Worte fassen, seine Schmerzen, Gedanken, Erwartungen, Bedürfnisse, Gefühle benennen zu können, was oft eng verbunden ist mit dem (leider oft nicht verhandenen) Vertrauen darin, dass man sich äußern darf, dass man gehört und verstanden und das Gesagte dann auch ernst genommen werden wird.

Der Möglichkeit, aus einer Metaebene auf das Gesagte zu blicken und sich nicht in den Wutstrudel hineinziehen zu lassen. Hierhin gehört die Möglichkeit, achtsam und wertfrei zuzuhören und zu sprechen, ohne den anderen zu überrollen, jemanden auszugrenzen oder zu unterbrechen. Die Wahrnehmung dessen, was man selbst aussendet: wie blicke ich den anderen an (wütend, vorwurfsvoll, listig, berechnend, kalt, oder freundlich, einladend, liebevoll, neugierig)? In welcher Tonlage spreche ich (dito)? Wie wirkt meine Gestik (fordernd, ablehnend, distanziert, herrisch, vernichtend oder einladend, herzlich, neutral)?

Weiterhin gibt es hier verschiedene Möglichkeiten, die verschiedenen Meinungen, Standpunkte, Wünsche, Ziele, Bedürfnisse etc. zusammenzutragen und zu besprechen. Wie kommt jeder Beteiligte zu seinem Recht oder wie kann es gehen, dass jeder Partner oder jedes Familienmitglied sich mit einer gemeinsamen Lösung gut, gesehen und gehört fühlt? Das Wort „gemeinsam“ an sich öffnet schon wieder ein weiteres Feld, denn viele Menschen verfallen im Streitfall in eine Singlementalität oder eine „nach mir die Sintflut“ – Weltanschauung. Gerade in der Auseinandersetzung mit anderen aber (lassen Sie sich das Wort Auseinandersetzung einmal in Ruhe auf der Zunge zergehen, ich setze mich auseinander, beschäftige mich eingehend mit etwas, in diesem Fall mit dem anderen, entzerre und entwirre einen Knoten und zwar mithilfe des anderen oder der anderen) liegt ein unschätzbares Potential zum eigenen und gemeinsamen Wachstum und zur Heilung. Selten werden wir so herausgefordert, so sehr dazu eingeladen, uns mit unseren (eingefahrenen? beschränkten?) Denk- und Verhaltensweisen, mit Glaubenssätzen oder Vorurteilen zu beschäftigen.

Zurück zur Ausgangsfrage: wie können Konflikte zufriedenstellend beendet werden?

Hier gibt es sicherlich unzählige Möglichkeiten, tausende oder sogar Millionen verschiedener Wege, von Gruppen und Familien auf der ganzen Welt wieder und wieder erprobt, verändert, ergänzt und neu erfunden. Hier ist Kreativität gefragt, hier darf gebastelt und gespielt werden, bis jeder Mensch für sich selbst, jedes Paar, jedes Team, jede Familie, jede Institution ihre eigenen, für gut befundenen und für alle erfolgreichen Wege gefunden hat. Ja, hier geht es um Ritualbildung! Wenn wir Rituale als etwas begreifen, das etwas besonderes anzeigt, etwas nichtalltägliches. Etwas, das durch eine besondere Verhaltensweise, einen besonderen Ablauf anlässlich einer bestimmten Situation oder zu einem speziellen Ziel durchgeführt wird.

Die Beendigung eines Konfliktes ist etwas enorm Wichtiges. Wir brauchen hier ein oder viele spezielle Rituale, um wirklich fühlen und wissen zu können: der Streit, die Krise, der Krieg ist vorbei! Ich muss nicht mehr in Habachtstellung sein, mich nicht mehr in dauernder Alarmbereitschaft befinden, keine Angst mehr vor weiteren Angriffen haben oder mich ungerecht behandelt fühlen, es darf jetzt zu Ende gehen, geklärt werden, wir haben gemeinsam zu einer guten, einvernehmlichen Lösung gefunden und besiegeln jetzt quasi diesen Vertrag. Rituale bilden, verbinden und bestätigen eine Gruppe oder eine Beziehung, wenn sie konstruktiven, positiven Charakter haben.

Wir haben wahrscheinlich alle ein gewisses Bild vor Augen, wenn der Begriff Friedenspfeife fällt. Im Kreis sitzende Menschen, ein brennendes Feuer, Rauch, ernste oder feierliche, vielleicht aber auch erleichterte und freudige Mienen, eine wandernde Pfeife.

Möglicherweise besondere Kleidung, besondere Zeremonien, Schmuck, feierliche Gegenstände, Speisen oder Gesänge.

Das Rauchen an sich ist oft ein Ritual mit besonderer Bedeutung. Ursprünglich wurde so eine Friedenspfeife auf eine bestimmte Weise entzündet, ihre Bedeutung war allen klar, wie z.B. die Bekreuzigung im Christentum führten alle Beteiligten die gleichen Bewegungen aus, bestätigen damit die Vereinbarung, den Zusammenhalt der Gruppe, die gemeinsamen Werte.

In einer Familie kann es sein, dass sich die Familie nach der gemeinsamen Konfliktlösung eine Zeitlang im Arm hält, auch Gruppenknuddeln genannt. Oder es wird ein besonderer Kuchen gebacken und gemeinsam gegessen. Gemeinsames Lachen über eine lustige Geschichte, gegenseitiges (freundliches) Kitzeln und lautstarkes Gekicher kann sehr lösend wirken. Man kann sich auch zusammen hinstellen und jeder schüttelt und wackelt seinen Körper durch, so stark er oder sie kann, um sozusagen allen Streit, alles Negative von sich und der Gruppe abzuschütteln.

Menschen können, ganz in der Tradition der Naturvölker, mit Salbei oder anderen Kräutern die Wohnung oder das Haus ausräuchern, die Fenster weit aufreißen und sich bewusst dafür entscheiden, dass der Streit und die schlechte Stimmung jetzt endgültig vorbei ist und alles negative jetzt mit dem Wind nach draußen fliegen kann.

Man kann ein Feuer im Kamin anzünden und gemeinsam davor sitzen, den Frieden einladen und genießen, ein Lied singen, sich um eine Kerze herum an den Händen halten. Auch nur einen einzigen Ton gemeinsam zu summen oder zu singen, kann einen sehr harmonisierenden, verbindenden Effekt haben.

Die Streitthemen können aufgeschrieben und im Feuer verbrannt werden, genauso aber auch die guten Wünsche und Ziele, wie man es z.B. auch an Festtagen wie Sylvester tun kann.

Gruppen können ihren Prozess vom Konflikt zur Lösung grafisch oder schriftlich festhalten, aufhängen und mit einem Glas Sekt oder einer Praline feiern, man kann ein Bild oder einen Comic malen oder etwas Abstraktes, was die Lösung oder den wiedergefundenen Zusammenhalt symbolisiert, was ab nun oder für eine Zeit einen Ehrenplatz im gemeinsamen Raum erhält.

Statuen, Schilder, Plaketten, Medaillen usw. sind ähnliche ritualisierte Zeugen überstandener Konflikte und können mahnenden, unterstützenden, bestätigenden, belobigenden oder feiernden Charakter haben.

Was nun bedeutet Wiedergutmachung?

Wir kennen dieses Wort vielleicht aus einem öffentlichen, geschäftlichen Kontext. Hat jemand Schaden erlitten, zahlt eine Versicherung ihm eine gewissen Summe, um einen Ausgleich zu schaffen. Man kann Verluste kompensieren, diese Kompensation auch vor Gericht erstreiten.

Hier geht es aber um eine ganz persönliche Ebene. Streit hat immer etwas beunruhigendes an sich, mal winzig klein und kaum auffällig, mal sehr intensiv und den Alltag und das Leben massiv beeinträchtigend. Werden wir im Rahmen eines Disputs angegriffen, verbal oder körperlich, werden uns Schmerzen zugefügt, erleiden wir Schaden, auf welcher Ebene auch immer. Unser Vertrauen in den anderen schwindet oder verschwindet ganz, wir fühlen uns unsicher, verletzlich, verfolgt, bedroht, ungerecht behandelt. Werden wir selber zum Angreifer, erleben wir uns vielleicht in einer ungewohnten Rolle, werden durch unser eigenes Verhalten verwirrt. In jedem Fall verändert sich unser Beziehungsgefüge, unsere Sicherheit in uns und in der Gruppe oder Beziehung.

Für all diese Veränderungen, erlittenen Wunden, Schmerzen, Unsicherheiten, Angriffe, braucht es, je nach Intensität, eine Wiedergutmachung.

Manchmal reicht eine ernstgemeinte Entschuldigung oder eine Bitte um Verzeihung, ein warmer Händedruck, eine freundliche Berührung, eine liebevolle Umarmung, ein weicher Blick.

Manchmal braucht es mehrere Gespräche, um wieder Mut zu fassen, Vertrauen zu gewinnen, um die gewohnte Unbeschwertheit miteinander wiederzuerlangen.

Und manchmal braucht es mehr. Die Lösungen hier sind so vielfältig wie individuell. Was braucht der Mensch, dessen oder deren Partner eine Außenbeziehung hatte, um sich wieder voll auf die Partnerschaft einlassen zu können? Was braucht der Mensch, dessen Geschäftspartner Geld hinterzogen hat? Was die Tochter, deren beste Freundin gerade gestanden hat, hinter ihrem Rücken schlecht über sie gesprochen zu haben? Was der Mensch, der sich auf ein bestimmtes Ereignis mit seiner/ihrer Familie so sehr gefreut hat, welches die anderen, ohne darüber zu sprechen, längst abgesagt haben?

 

Eine Wiedergutmachung bei tieferen Verletzungen kann ebenfalls ein längeres, klärendes Gespräch sein. Oder viele solcher Gespräche. Bestimmte Abmachungen, an die sich zuverlässig gehalten werden muss, um wieder Vertrauen aufzubauen. Kleine Überraschungen, die der andere sich für einen ausdenkt. Ein gemeinsamer Ausflug oder Urlaub. Ein neuer Vertrag, eine neue Aufteilung. Die Erfüllung eines langgehegten Wunsches (der nicht notwendigerweise materiell sein muss)...

Wiedergutmachung kann schnell gehen, kann aber auch über einen längeren oder langen Zeitraum erfolgen, sollte aber zeitlich begrenzt sein. Wichtig ist, dass es hierbei zwar um Abmachungen geht aber nicht um Zwang. Alle Beteiligten sollten freiwillig zueinander kommen und Wiedergutmachung geben bzw. empfangen. Es bringt nichts, wenn Eltern bestimmen, was das eine Kind für das andere tut, wenn das einfach nicht stimmig für die Kinder bzw. das geschädigte Kind ist. Es ist auch nicht zielführend, wenn z.B. der betrogene oder angegriffene Partner eine riesige Aufgabe vorschreibt, z.B. einen sehr teuren Urlaub, den der Partner bezahlen soll. Wiedergutmachung ist keine Manipulation, Erpressung oder Heimzahlung.

Im Gegenteil. Das Ziel ist, sich auf etwas zu einigen, was die Beziehung, den Kontakt, das Vertrauen, die gegenseitige Leichtigkeit und Freude im Laufe der notwendigen Zeit wiederherstellen kann. Und auch dafür braucht es, wie schon zur gelingenden Konfliktbewältigung, Achtsamkeit, Wertfreiheit, Kreativität, Neugierde und vor allem Gemeinsamkeit.